2) Dezentrale Unsterblichkeit
Im Laufe des Lebens nimmt die Maschine Mensch über verschiedene Sensoren Informationen auf, ordnet und unterscheidet diese nach bestimmten Mustern, passt eigene Software und Hardware an die neuen Informationen an und reagiert dann auf diese Muster, indem sie ihrerseits bestimmte Informationen aussendet. Mit steigendem Alter begegnet uns eine bestimmte Information immer häufiger und verändert unsere Software maßgeblich: Die Tatsache, dass die anderen Menschen irgendwann sterben und nicht mehr existieren. Diese Tatsache übertragen wir auf uns selbst und können erahnen, dass auch unsere Existenz endlich ist. Zwar stehen uns keine Informationen zur Verfügung, was das Ende unserer Existenz tatsächlich bedeutet oder was uns danach erwartet, trotzdem aber sehen wir es als harten Einschnitt an und passen unsere eigenen Handlungen sowie unsere Gesellschaft daran an. Intuitiv wirkt der Tod bedrohlich und löst bei den Hinterbliebenen Trauer und Unverständnis aus. Dementsprechend ist das gesellschaftliche Bild des Tods eher negativ und Menschen versuchen fortlaufend, sich gegen ihr Schicksal zu wehren. Akzeptiert man den Menschen als ein Zusammenspiel aus Software und Hardware, bekommen Leben und Tod jedoch eine andere Bedeutung.
Leben besteht dann aus der Zeit, in der unsere eigene Hardware Informationen detektiert und verarbeitet. Ein Großteil dieser Informationen ist Software von anderen Menschen. Wir kopieren und verändern Glaubensrichtungen, Philosophien und gesellschaftliche Normen, wir erlernen bestimmte Fähigkeiten und sammeln Wissen zu bestimmten Themen. Die ganze Zeit über nehmen wir Ideen von anderen Menschen bzw. Informationen aus unserem eigenen Körper und der Natur auf, verändern diese mithilfe unserer eigenen aktuellen Software, speichern sie ab und senden unsere abgeänderten Ideen dann an andere Menschen weiter. Unsere Hardware, die Maschine, auf der wir die erhaltenen Ideen ausführen und abändern, wird hauptsächlich durch unsere DNA definiert, die wir von Generation zu Generation weitergeben. Diese Hardware bestimmt, wie effizient wir Ideen ausführen können und limitiert unseren Handlungsspielraum. Wir sind mit dieser Hardware jedoch nur wandelnde Manifestationen unserer Software und durch die Kommunikation mit anderen Menschen sind wir lebenslang damit beschäftigt, diese Software mit anderen zu teilen und zu dezentralisieren. Die ganze Menschheit ist damit ein einziger Organismus, der unter dem Einfluss der Informationen der Außenwelt Ideen auf verschiedenen Maschinen ausführt und weiterentwickelt. Intelligentes Leben erzeugt also einen ständigen Strom von Ideen und einzelne Menschen sind nur Implementierungen eines Bruchteils dieser Ideen auf einzelnen Maschinen. Jeder Mensch nimmt Teile des Ideenstroms in sich auf, schafft daraus neue Ideen und gibt diese durch Kommunikation wieder in den Strom hinein.
Der Tod eines Menschen bedeutet zunächst, dass dessen Hardware versagt. Die Software wird auf dieser Hardware ausgeführt, ist also nach dem Versagen der Hardware ebenfalls nicht mehr einsehbar. Wenn der Mensch jedoch während seines Lebens aktiv an dem Ideenstrom der Menschheit teilgenommen hat und durch Kommunikation einen Großteil seiner eigenen Ideen und Software wieder in den Strom eingespeist hat, dann ist diese Software immer noch vorhanden. Je einfallsreicher der Mensch während seines Lebens war, je origineller er die Limitierungen seiner einzigartigen Hardware ausgenutzt hat und je aktiver er mit anderen Menschen kommuniziert hat, desto mehr Teile seiner Software bleiben nach dem Versagen der Hardware vorhanden. Durch Kommunikation erreichen wir also eine Art dezentrale Unsterblichkeit, in der unsere Ideen und Software auch nach unserem physischen Tod immer weiter Fortbestehen und den Ideenstrom der Menschheit weiter beeinflussen. Unsere eigene Software wird dann auf einer Vielzahl von anderen Maschinen ausgeführt, immer wieder kopiert und trägt weiter zum Fortschritt der Menschheit bei.
Will man sich dem negativ konnotierten Tod also entgegenstellen, so bietet die dezentrale Unsterblichkeit einen ersten Ausweg. Man sollte dann lernen, die eigenen Ideen und Gefühle laufend mit so vielen Menschen wie möglich zu teilen. Man sollte lernen, eigene Ziele, Bedürfnisse und Meinungen klar und deutlich zu kommunizieren und versuchen, andere Menschen davon zu überzeugen. Man sollte mehr unvoreingenommene Gespräche führen, tiefere Diskussionen haben und versuchen, die Ideen von anderen Menschen tatsächlich zu verstehen, statt sie unter dem Einfluss der eigenen Vorurteile umzuinterpretieren. Außerdem sollte man die Einzigartigkeit der eigenen Hardware und Software, das, was das Selbst von den anderen Menschen wirklich unterscheidet, nutzen, um die erhaltenen Ideen auf die ganz eigene, originelle Art abzuwandeln. Wenn jeder immer nur Ideen von anderen kopiert und auf die gleiche Weise verändert, wird der Ideenstrom der Menschheit zu einem Rinnsal. Wenn jedoch jeder Mensch die eigene Einzigartigkeit erkennt und sich traut, diese aktiv zu nutzen, um originelle Ideen zu schaffen, dann wird der Ideenstrom zu einer unaufhaltsamen Flut, die uns in eine spannende und abwechslungsreiche Zukunft schwemmt.