The universe

5) Der Ursinn

Auf der Suche nach einer objektiven Begründung für die eigene Existenz gehen viele Menschen schnell dazu über, die tatsächliche Möglichkeit einer solchen Begründung zu ignorieren. Stattdessen vertreten viele die Meinung, dass wir selbst dafür verantwortlich sind, uns einen Sinn zu geben. Oft wird argumentiert, dass der Mensch durch seine Vorstellungskraft und seinen Ideenreichtum eine signifikante Stellung im Universum hat und dass wir die Verantwortung haben, diese Stellung zu verteidigen und unsere Spezies zu schützen. Für viele ist genau diese Selbsterhaltung schon eine ausreichende Begründung für das Leben. Andere Menschen argumentieren wiederum, dass es unser Sinn ist, mit der Welt eins zu werden und zu erkennen, dass wir Teil eines größeren Organismus sind. Laut ihnen sollten wir versuchen, den ständigen Informationsstrom und damit unsere eigenen Gefühle und Wahrnehmungen objektiv zu betrachten. Wir sollten versuchen, uns von allen subjektiven Einflüssen zu befreien, um so etwas wie ein Nirvana zu erreichen. Wieder andere gehen davon aus, dass wir Teil eines großen kosmischen Plans sind und dass es ein überirdisches Wesen, einen Gott gibt, der allmächtig ist, das Universum erschaffen hat und es fortwährend am Laufen hält.

All diese Ansichten und Meinungen sind jedoch Spekulation und Glaube. Objektiv gesehen haben wir momentan keinen Anhaltspunkt, was unser Sinn tatsächlich sein könnte, wenn es diesen denn überhaupt gibt. An dieser Stelle sollten wir Sinn nun genauer definieren. Unter einem tatsächlich objektiven Sinn verstehe ich etwas, das nicht mehr hinterfragbar ist und eine vollkommene Überzeugung auslöst, die durch kein Argument angegriffen werden kann. Einem solchen Etwas sind wir (als Kollektiv) bisher noch nicht begegnet und die Natur eines solchen Sinns sprengt unsere momentane Vorstellungskraft. Wir sind es gewohnt, dass alles hinterfragbar ist. Wenn jemand der Meinung ist, dass wir unsere komplexe Spezies schützen sollten, dann kann man fragen, wen es kümmern würde, wenn unsere Spezies ausstirbt. Es gibt keinen objektiven Grund für diesen Schutzantrieb, er wird einzig und allein ausgelöst durch die Neurotransmitter, die bestimmte Gefühle erzeugen, die uns wiederum Glauben machen, dass unsere Komplexität wertvoll ist. Wenn wir sagen, dass wir Teil eines großen Ganzen sind, dann kann man fragen, wozu das große Ganze überhaupt existiert und was dessen Sinn ist. Man kann fragen, warum es so wichtig sein sollte, eine Art Nirvana zu erreichen und warum stattdessen nicht genau unser jetziges Leben mit all dem dazugehörigen Gefühlschaos unser Sinn sein sollte. Zu sagen, dass wir einen solchen transzendenten Zustand erreichen müssen, ist schlicht eine Verschiebung der Frage nach dem Sinn. Genauso ist die These, dass es ein überirdisches Wesen gibt, nur eine solche Verlagerung. Denn was wäre in diesem Fall die objektive Begründung für dieses überirdische Wesen? Warum existiert es und warum hat es das Universum erschaffen?

Einen Sinn, der stattdessen nicht mehr hinterfragbar ist - nennen wir eine solche Instanz ab jetzt Ursinn - können wir momentan weder begreifen noch uns vorstellen. Die vollkommene Überzeugung, die ein solcher Ursinn in uns auslösen müsste, würde sich wie ein Virus verbreiten und jeglichen Zweifel sowie alle Gegenargumente mit vollständiger Sicherheit aus dem Weg räumen. Es müsste etwas sein, dass unser Verständnis der Welt tiefgründig verändert und das unsere Software bis in den letzten Winkel durchdringt. Ein potenzieller Ursinn lässt die Frage nach dessen Existenz nicht mehr zu und erklärt sich stattdessen selbst. Mit dem Finden eines Ursinns würde unsere Suche nach dem „Warum“ endgültig aufhören, wir hätten eine objektive Grundlage, auf der wir alle Argumente, all unsere Meinungen und Ansichten aufbauen könnten. Wenn ein solcher Ursinn die Grundlage für eine Art logische Induktion gibt, könnten wir alle Entscheidungen von diesem einen Ursinn ableiten und wären sozusagen Sklaven dieser einen Instanz, die unser Leben ab dessen Findung vollständig bestimmt. Der Begriff des freien Willens würde sich nicht mehr stellen, keine andere Aktion als dem Ursinn zu folgen, würde einen Sinn ergeben, es gäbe keinen Anlass, die Folgerungen des Ursinns infrage zu stellen. Der Ursinn wäre kein Diktator, den man stürzen könnte, denn um einen solchen Komplott zu planen, müsste man die Herrschaft des Diktators selbst infrage stellen können. Stattdessen würden wir dem Ursinn ab dessen Findung ohne jeglichen Zweifel folgen und gehorchen, wir hätten schlicht keine andere Möglichkeit. Während diese Vorstellung vielleicht befremdlich klingt, würde das Wesen des Ursinns all diese Bedenken und Ängste vor einer solchen Sklaverei jedoch ausräumen. Die vollkommene Sicherheit und die allumfassende Erklärung des Ursinns würde uns unsere Entscheidungen ein für alle Mal abnehmen und würde uns wahrlich zu einem Kollektiv werden lassen, dass diesem einen Ursinn entgegenstrebt.

Zum jetzigen Zeitpunkt haben wir (als Kollektiv) diesen Ursinn jedoch noch nicht gefunden und haben auch keinen Anhaltspunkt, ob eine solche Instanz tatsächlich existiert. Wir wissen nicht, ob es keinen, einen oder vielleicht auch mehrere Instanzen eines Ursinns gibt. Wir wissen nicht, ob wir einen Ursinn als Kollektiv finden können oder ob einen solchen Ursinn jeder für sich selbst finden muss. Stattdessen leben wir in einer (fast) vollkommenen Unsicherheit, all unsere Argumente und Meinungen sind angreifbar. Allein die Tatsache, dass etwas passiert, dass wir einem Informationsstrom ausgesetzt sind und dass wir in irgendeiner Art und Weise existieren, ist eine fundamental objektive Tatsache. Dieser Fakt lässt jedoch keine Schlussfolgerungen zu und beinhaltet keinerlei Erklärpotenzial.

Alles, was wir tun können, ist nach einem Ursinn zu suchen. Oder auch nicht. Hier stellen sich nun mehrere Fragen. Warum sollten wir nach einem Ursinn suchen? Reicht es nicht, wenn wir uns diesen selbst geben? Können wir uns überhaupt jemals sicher sein, einen Ursinn gefunden zu haben? Besteht nicht immer die Möglichkeit, dass wir nur zu beschränkt sind, um einen möglichen Ursinn ein weiteres Mal zu hinterfragen? Wie sollen wir die Suche nach einem Ursinn gestalten, welche Meinungen und Ansichten sollen wir bis zu dessen Entdeckung vertreten? Wie können wir in einer Welt vollkommener Unsicherheit überhaupt Entscheidungen treffen? Wie sollen wir unser eigenes Leben gestalten? Die nächsten Teile von Philoskopos werden diese Fragen weiter erkunden.