Bild: The Phantom Horseman, 1870-93 von Sir John Gilbert, Birmingham Museums Trust
7) Das Ende der Suche
Wie in Teil drei von Philoskopos beschrieben, merken wir im Lauf der Zeit, dass unsere Software unvollständig ist und außerdem Fehler enthält. Der ständige Umgang mit unserer eigenen Unzulänglichkeit und die Fehlerbehebung werden zu unserem Alltag. Angesichts dieser Fehlbarkeit wirft die Suche nach dem Ursinn eine berechtigte Frage auf: Können wir uns jemals sicher sein, einen Ursinn gefunden zu haben? Immerhin könnte ein vermeintlich gefundener Ursinn nur eine Illusion sein, ein Denkfehler, der sich mit Tücke und Hinterlist in unseren Verstand schleicht und dessen Existenz erst später aufgedeckt wird. Alles Wissen, das wir zum jetzigen Zeitpunkt gesammelt haben, entspringt unseren Modellen der Wirklichkeit. Diese Modelle, die laufend durch unsere Software erzeugt werden, entsprechen nur Approximationen und sind gespickt mit ebenjener Unzulänglichkeit unseres Selbst, die sich in allen Bereichen unseres Lebens merkbar macht. Warum sollte ein vermeintlicher Ursinn diese Fehler also auf einmal nicht mehr aufweisen? Vielleicht erscheint ein solcher Sinn nur fälschlicherweise als endgültig selbsterklärend und nicht mehr hinterfragbar. Vielleicht hat unsere Software eine Grenze, ab der Fehler nicht mehr detektiert werden. Schon viel zu oft haben sich Menschen voller Überzeugung für eine bestimmte Sache in den Kampf geworfen, nur um später festzustellen, dass all die Anstrengungen umsonst und meist sogar destruktiv waren. Was gibt uns die Sicherheit, dass ein Ursinn nicht wieder ein solches Irrlicht ist, dass unsere Denkkapazität übersteigt und uns mit glänzenden Versprechungen ins Unglück treibt?
Zunächst sollten wir uns noch einmal die Definition eines Ursinns in Erinnerung rufen. Diese schließt ein Hinterfragen desselben von Anfang an aus. Die Natur des Ursinns erlaubt keine gegensätzlichen Überlegungen zu dessen allumfassender Existenz. Stattdessen bietet sie eine absolute Sicherheit, die Zweifel nicht im Keim erstickt, sondern den Keim gar nicht erst zulässt. Wie schon in Teil fünf beschrieben übersteigt eine solche Eigenschaft unseren aktuellen Erfahrungsschatz. Jeder Gedanke, der bisher Teil des Ideenstroms der Menschheit war, wurde schon auf vielfältige Art und Weise hinterfragt, umgedeutet, verbessert oder vollständig verworfen. Der Ideenstrom zeichnet sich gerade durch diese Dynamik der Weiterentwicklung aus, der Strom fließt nur wegen der Kritiken unserer Vernunft, die bestehende Ideen entweder ins Nichts verbannen oder aber den Strom weiterhin damit nähren. Der Ursinn würde diesen Prozess jedoch ein für alle Mal stoppen. Ein gefundener Ursinn lässt den Ideenstrom versiegen und bietet stattdessen eine neuen, sinnbehafteten Strom, der uns ab dem Zeitpunkt des Funds nicht mehr loslässt, sondern mit klarer Bestimmung durch unser Leben trägt. Um durch unsere eigene Unzulänglichkeit jedoch keiner fehlerhaften Gewissheit zu folgen, dürfen wir die Kritik unserer Vernunft nicht fallen lassen. Jede Idee, jeder vermeintliche Fund und jede Gewissheit müssen bis aufs schärfste untersucht werden. Jede mögliche Kunst des Hinterfragens muss beherrscht werden, jede Möglichkeit einer eigenen Unzulänglichkeit muss eliminiert werden und jede noch so kleine Unstimmigkeit muss unsere vollständige Aufmerksamkeit erhalten. Unser Ideenstrom darf keinen Dogmas unterliegen, sondern sollte stattdessen vielmehr von unserer eigenen Ungläubigkeit und durch kritisches Überlegen im Zaum gehalten werden. Nur wenn ein vermeintlicher Ursinn allen hinterfragenden Anstrengungen widersteht, haben wir den Ursinn per Definition verifiziert und gefunden. Sobald jedoch kleinste Zweifel möglich sind, verschwindet das Ziel unserer Suche wieder im Ungewissen, der vermeintliche Ursinn war ein Trugbild und sollte wieder im Ideenstrom der Menschheit untergehen.
Der „Motor des Fortschritts“, wie er in Teil drei von Philoskopos definiert wurde, hilft uns dabei, keinen falschen Propheten zu unterliegen. Ständiges Streben nach Wissen und ständige Fehlerkorrektur sind auch hier wieder das Mittel, um einen Ursinn tatsächlich zu identifizieren. Dieser Motor muss mit allen Mitteln am Laufen gehalten werden, denn nur er wird es uns ermöglichen, unsere Suche irgendwann zu beenden.
Doch wie sollen wir diesen Motor einsetzen? Wie sollen wir den Ideenstrom der Menschheit in vollkommener Ungewissheit leiten? Wie gestalten wir die Suche nach dem Ursinn und was bedeutet diese Suche für unser alltägliches Leben? Dieser Frage wird der nächste Teil von Philoskopos gewidmet.